Seid ihr schon gespannt, ob Felix vergeblich wartet? Dann wollen wir euch und den armen Kerl mal erlösen ...
Süßer Traum (Teil 2)
Gähnend lasse ich den
Blick auf die große Uhr wandern, die über dem Durchgang zwischen Laden und
Backstube hängt. Wie oft habe ich da eigentlich schon hingeschaut? Inzwischen ist
es bereits weit nach neun Uhr und mein bevorzugter Kunde ist noch immer nicht
erschienen. Ausgerechnet heute, wo ich selbst den Laden noch für zwei Stunden
betreuen muss, weil Klara früher in die Versicherung muss und meine Mutter sich
verspätet, weil die Pflegekraft für meinen Vater abgesagt hat und sie erst
einen Ersatz beschaffen muss. Ich bin todmüde und kann eine Aufmunterung gut
gebrauchen.
„Du bist noch da, das ist schön. Ich bin so spät
dran heute.“ In Gedanken bin ich gerade ganz weit weggewesen. Beim Klang der
dunklen Stimme, auf die ich schon so lange gewartet habe, zucke ich zusammen. Mein
Blick geht zu dem Mann, der außer Atem und mit leicht gerötetem Gesicht vor mir
steht. Nur der Verkaufstresen trennt uns voneinander und wieder steigt mir der
Duft des Aftershaves in die Nase, der mir schon in den vergangenen Tagen aufgefallen
ist. „Ich hoffe, es gibt noch das heutige Special.“
Es fällt mir schwer meine Augen abzuwenden und
ich brauche einen Moment, bis ich meine Stimme wiederfinde. „Klar doch, alles
noch da.“ Er braucht ja nicht zu wissen, dass ich mit Bedacht extra für ihn
jeden Tag eine Spezialität zurückhalte. Bisher haben wir zwar immer ein paar
Exemplare übrig behalten, aber man kann ja nie wissen. „Wenn Sie jeden Tag
kommen, ist das Komplettangebot noch immer günstiger.“ Obwohl mein Herz kräftig
pocht, verfalle ich in einen geschäftsmäßigen und professionellen Ton.
„Das Zeug ist so lecker und viel zu billig für
die Güte. Das passt schon.“ Während ich eine der bunten Pappschachteln, die wir
für diesen Zweck angeschafft haben, unter dem Verkaufstisch hervorhole, mustert
der Kunde die verschiedenen Pralinen, die im Angebot ausliegen. „Hast du die
alle selbstgemacht? Du bist ein echtes Genie. Ich brauche unbedingt von jedem
Teil eines zum Probieren. Bisher war alles, was ich gekostet habe, der Hammer.
Deinetwegen werde ich noch zum Koloss …“
„Du doch nicht. Du bist perfekt!“ Erschreckt
beiße ich mir auf die Zunge und versuche, die aufsteigende Röte in meinem
Gesicht zu unterdrücken. Was erzähle ich hier für einen Unsinn? Das ist ein
Kunde und ich … ich lasse mich auf ein viel zu vertrauliches Gespräch ein.
Geschäftig tauche ich unter den Tresen und
krame in den faltbaren Schachteln in verschiedenen Größen, die wir für die
Pralinen gekauft haben. Sie sind teuer, aber gehören für mich einfach dazu.
Wenn man etwas Besonderes präsentieren will, gehört auch die Verpackung dazu.
Ohne auf mein klopfendes Herz zu achten, suche ich nach der passenden Box und
falte sie zusammen. Meine Finger zittern und ich brauche einen zweiten Versuch,
bis die Schachtel fertig ist. Ich will etwas sagen, aber ich traue meiner
Stimme nicht. Stumm greife ich nach der
Zange und suche die schönsten Stücke aus. Eins nach dem anderen schichte ich in
die Box, legte eine Lage Folie dazwischen und nehme das nächste. Die Luft
knistert und die Spannung zwischen uns ist unerträglich. Bilde ich mir das nur
ein?
„Es tut …“
„Es tut …“
Zeitgleich beginnen wir zu sprechen und das
Eis ist gebrochen. Wir lachen beide.
„Du …“
„Du zuerst“, unterbreche ich ihn bestimmt. Mein
Lächeln ist unsicher, aber ich halte dem Blick meines Gegenübers stand. Während
ich darauf warte, dass der Unbekannte redet, schließe ich die Schachtel mit den
Pralinen und stelle sie auf den Tresen.
„Vielleicht sollte ich mich erst einmal
vorstellen. Arne …“
Ich greife die Hand, die sich mir entgegenstreckt.
Eine Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus. „Felix …“
Arne hält meine Finger einen Wimpernschlag
länger fest als unbedingt nötig. Er lächelt und nickt, während ich unter seinem
Blick dahinschmelze. Ich bin wirklich erbärmlich. „Ich weiß. Ich habe mich ein
wenig über dich erkundigt.“
Die Türglocke schrillt und Frau Müller von
nebenan kommt herein. Sie hat ihre beiden Kinder an der Hand und keift sie die
ganze Zeit an. Arne nickt nur freundlich und tritt einen Schritt zur Seite, um
Platz zu machen für die Familie. Er bleibt im Hintergrund, während ich mich um
Professionalität bemühe. Es fällt mir schwer, mich auf die Kundin zu konzentrieren.
Deutlich spüre ich Arnes Blicke auf mir, meine Haut prickelt und mein
Pulsschlag ist erhöht. Die Müdigkeit, die ich noch vor ein paar Minuten gespürt
habe, ist vollkommen verschwunden.
„2,10 €“, sage ich mit einem freundlichem
Lächeln zu der Stammkundin, die die Tüte mit den Brötchen entgegennimmt und mir
das Geld reicht. Ich hole zwei Kekse für die beiden Kleinen hervor und nehme
das Wechselgeld aus der Kasse.
„Sagt danke
zu Herrn Dornbichler“, verlangt die Mutter.
„Danke“, rufen die Zwillinge unisono und
stopften die Kekse in ihre Münder. Sie haben es nicht leicht mit ihrer Mutter,
die immer gestresst und hektisch wirkt und häufig mit ihnen herummeckert,
obwohl die beiden auf mich einen recht braven Eindruck machen.
Arne hält die Tür auf und wartet, bis wir
wieder allein im Raum sind. Doch gerade als er ansetzen will zu sprechen, kommen
erneut Leute in den Laden. Zum ersten Mal verfluche ich, dass kurz nacheinander
Kundschaft kommt, doch trotz meiner Ungeduld bleibe ich freundlich und erfülle
die Wünsche. Allerdings atme ich erleichtert aus, als die Tür sich wieder
schließt und Arne und ich endlich allein sind. „Sorry“, meine ich
achselzuckend. „Es ist selten so viel los bei uns.“
„Unverdientermaßen“, entgegnet Arne. Unbemerkt
ist er näher an mich herangetreten. Seine Nähe verwirrt mich. „Dein Laden ist
der beste im ganzen Landkreis.“ Seine Finger berührten meinen Arm. Lächelnd
beobachtet er das Aufstellen der kleinen Haare und die Gänsehaut, die sich bei
mir ausbreitet. Doch dann zieht er abrupt seine Hand weg und räuspert sich.
„Würdest du … mit mir … ich meine, hast du Lust, mit mir …“
Spontan will ich ablehnen. Es gibt viele
Gründe, die gegen ein Treffen sprechen. Ich habe so gut wie gar keine Freizeit
und will außerdem keine Beziehung. Das hier klingt nach einem Date und ich will
kein Date. Wenn ich Sex will, dann gehe ich in einen Club und suche mir einen
Kerl für die Nacht aus. „Okay“, höre ich meine eigene Stimme, obwohl mein Kopf
das Gegenteil will. „Ich habe ab mittags frei. Was hältst du von einem
Spaziergang auf dem Weihnachtsmarkt?“
„Superidee!“, antwortet Arne schnell. Er
drückt mir einen Geldschein in die Hand. „Stimmt so. Ich hole dich um 16 Uhr
ab. Vorher schaffe ich es nicht. Okay?“ Mechanisch nicke ich und schaue Arne
hinterher, der sich an der Tür noch einmal umdreht und mich anlächelt. „Bis
nachher, ich freue mich.“
Wie in Trance starre ich auf die sich
schließende Tür. Mein Herz pocht laut in meiner Brust und meine Knie sind weich
wie Wackelpudding. Was passiert hier mit mir? So etwas habe ich noch nie
erlebt. Vor allem frage ich mich, was heute anders ist als an den letzten
Tagen. Auch da habe ich Arne bereits bedient, doch unser Kontakt ist nie über
ein normales Verkaufsgespräch hinausgegangen. Zumindest habe ich das so
empfunden, auch wenn Klara etwas anderes behauptet. Eben war vom ersten
Augenblick an eine besondere Spannung zwischen uns.
Zum Glück ist es um diese Zeit recht ruhig,
damit ich mich wieder fangen kann, bevor der nächste Kunde in den Laden kommt.
Die Gedanken in meinem Kopf schwirren umher und versuchen zu begreifen, was
hier gerade passiert ist. Es gelingt mir nicht. Ich habe mich tatsächlich
verabredet … obwohl ich das gar nicht will … oder doch? Doch, ich will das.
Wenigstens für einen Nachmittag kann ich mir doch ein wenig Abwechslung vom
tristen Alltag gönnen. Arne löst irgendetwas in mir aus, was ich lange nicht
mehr empfunden habe und das tut mir gut.
Kurz nach 12 Uhr kommt
meine Mutter endlich. Sie sieht erschöpft aus und ich bekomme sogleich ein
schlechtes Gewissen, weil ich sie hier für ein paar Stunden einbinde, bis Klara
von der Arbeit kommt und die Abendzeit übernimmt. Die Pflege meines Vaters
zehrt an ihren Kräften und ein Ende ist nicht in Sicht. Ich weiß, dass sie es
gern tut, weil sie ihn liebt, aber der Einschnitt ins Leben ist nicht nur für
ihn selbst gravierend. Mein Vater, der Zeit seines Lebens vor Energie und
Tatkraft gestrotzt hat, hadert mit seinem Körper und der Hilflosigkeit.
Immerhin hat er nach den ersten Wochen den Kampf angenommen und bemüht sich in
der Reha nach Kräften. Das Sprechen gelingt ihm schon viel besser und nach und
nach wird auch die Koordination wieder besser. Aber von dem Tag, ohne Hilfe
auskommen zu können, ist er noch meilenweit entfernt.
„Hallo Felix, tut mir leid, dass es so spät
geworden ist …“ Ohne ein Wort nehme ich meine Mutter in den Arm und halte sie
fest. Es gibt keine tröstenden Worte und ich mag es nicht, wenn sie meint, sich
entschuldigen zu müssen.
Während ich uns beiden einen Cappuccino aus
der Maschine ziehe, zieht sie ihren Kittel an und wäscht sich die Hände. Aus
dem Augenwinkel beobachtet sie mich und ich fühle mich gleich wieder in meine
Kindheit versetzt. Obwohl ich fast dreißig Jahre alt bin, bemerkt meine Mutter
immer gleich, wenn mich etwas beschäftigt. Vielleicht liegt es daran, dass wir
uns schon immer recht nahe gestanden haben. Im Gegensatz zu meinem Vater weiß
sie, dass das, was ich gerade tue, nicht mein Traumberuf ist. Mehr als einmal
hat sie mich ermuntert, meinen eigenen Interessen zu folgen und versprochen,
mit meinem Vater zu reden. Der Versuch, lässig zu agieren und so zu tun, als ob
ich ihren Blick nicht bemerke, schlägt wie erwartet fehl.
„Geh ruhig, wenn du heute noch etwas vor
hast“, meint meine Mutter. „Ich komme hier schon allein klar.“
Kann sie hellsehen? Manchmal ist sie mir
wirklich unheimlich. Da Leugnen zwecklos ist, gebe ich klein bei und erzähle
ihr von meinem Treffen mit Arne. So wenig überrascht wie sie klingt, hat Klara
ihr schon von dem speziellen Kunden erzählt. Ich muss wohl mit meiner Schwester
mal ein ernstes Wort reden. Oder es ist tatsächlich so, dass ich der einzige in
unserer Familie bin, dessen Gaydar nicht funktioniert und der nicht mitbekommen
hat, dass Arne Interesse an mir zeigt.
„Das freut mich für dich.“ Meine Mutter nimmt
mich in den Arm und drückt mich fest. „Es wird Zeit, dass du Dominik hinter dir
lässt und endlich wieder jemanden findest, mit dem du zusammen sein willst.“
„So weit sind wir noch lange nicht und
außerdem …“
„Es gibt immer einen Weg, wenn man sich
liebt.“
Die Stimme meiner Mutter klingt energisch und
im Grunde hat sie auch recht. Das beste Beispiel für eine funktionierende
Beziehung steht schließlich direkt vor mir. Aber so weit sind wir tatsächlich
noch lange nicht.
„Wir gehen nur auf den Weihnachtsmarkt, nicht
mehr …“ Ich versuche das Treffen abzuschwächen, aber tief in mir keimt trotzdem
die Hoffnung, dass es doch mehr ist … oder mehr daraus werden kann.
„Habt Spaß und genieße den Abend.“ Mama küsst
mich auf die Wange und schiebt mich Richtung Tür. „Du bist jung und brauchst
das. Wenn du willst, können Klara und ich morgen früh den Dienst übernehmen.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, das mache ich
schon. Danke, Mama!“ Das wissende Lächeln, das sie mir schenkt, sagt mehr als
Worte, aber sie widerspricht mir nicht. Für einen Augenblick bin ich versucht,
dem Traum von einem freien Tag zu folgen. Doch ich kann es weder von ihr noch
von meiner Schwester verlangen, noch mehr Zeit zu opfern. Wir müssen alle an
unsere Grenzen gehen und Opfer bringen. „Tschüss, Mama!“ Auf einmal habe ich es
eilig. Es ist zwar noch ein wenig Zeit, aber ich habe keinen Plan und muss mir
Gedanken machen. Was soll ich anziehen?
Wo genau will ich mit Arne hin? Was soll ich von unserem Treffen
erwarten? Verspreche ich mir zu viel davon? Was erwarte ich eigentlich genau?
TBC
Morgen geht es dann weiter bei Sissi Kaipurgay
So derbst süß ey. Wie seine Pralinen. Ähmm ich spreche von denen aus der Verkaufstheke XD
AntwortenLöschenIch freue mich schon auf das Fortsetzungskapitel!
Da bekommt man selbst Appetit, gell? Ich habe auch Lust bekommen, vielleicht selbst noch ein paar(sehr einfache im Vergleich zu Felix' Werken) Pralinen als Weihnachtsgeschenk zu machen. Mal sehen, ob das zeitlich noch ausgeht.
LöschenVielen Dank für deinen Kommentar.
LG
Mia
Ach war das schön süß, doppelt süß :). Das Verhalten der beiden und die Pralinen die ich jetzt gerne probieren würde...
AntwortenLöschenLiebe Grüße und ein schönes Wochenende wünscht dir: Pummeluff
Die größte Leistung in der Weihnachtszeit ist doch, der süßen Versuchung zu widerstehen. Zum Glück haben weder Arne noch Felix anscheinend Probleme mit ihrer Figur :-)
LöschenVielen Dank für deinen Kommentar.
LG
Mia
Guten Abend Mia!
AntwortenLöschenUnd wieder so ein schönes und süßes Kapitelchen.
Endlich sind Felix und Arne einen großen Schritt weiter. Ich hoffe sehr, dass ihr kleines Date auf dem Weihnachtsmarkt großen Erfolg haben wird.
Ob vielleicht eine Seite auf FB oder einem anderen sozialen Netzwerk für die Bäckerei von Vorteil wäre? Man könnte die neuen Kreation dann immer vorstellen.
LG Piccolo
Du bist ja ein echter Marketingstratege :-) Ich werde Klara und Felix an dich verweisen.
LöschenLieben Dank für deinen Kommentar.
Gruß,
Mia